Reform der
Pflegeversicherung
Mit dem
"Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz" (PNG) sind bereits Ende Oktober 2012
erste Änderungen in Kraft getreten. So z.B. die Förderung neuer Wohnformen (§
45f SGB XI) und die Verpflichtung der Pflegekassen zu mehr Service und
Beratung. Ab dem 01.01.2013 erhalten insbesondere demenziell erkrankte Menschen
höhere Leistungen, und es gibt die Möglichkeit einer flexibleren
Inanspruchnahme von Leistungen. Zudem wird der Aufbau einer zusätzlichen
privaten Pflegevorsorge gefördert.
Die
Kernpunkte des Gesetzes im Einzelnen:
Einführung von Leistungen der häuslichen Betreuung: Im Vorgriff auf die weiterhin ausstehende
Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs bieten ambulante Pflegedienste
neben der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (dies sind die
Kernpunkte für die Zuerkennung einer Pflegestufe) auch Betreuungsleistungen an.
Betreuungsleistungen können nicht nur Personen mit erheblich eingeschränkter
Alltagskompetenz, z.B. an Demenz erkrankte Menschen, in Anspruch nehmen,
sondern auch alle Pflegebedürftigen der Pflegestufen I bis III (§ 45a SGB XI).
Diese Leistungen werden gewährt, bis ein Gesetz in Kraft tritt, das eine
Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs vorsieht.
Höhere
Leistungen in der ambulanten Versorgung für Menschen mit Demenz: Ab 2013 haben Menschen mit einer eingeschränkten
Alltagskompetenz (z.B. Demenzkranke), die noch keine Pflegestufe erhalten, aber
bei denen ein erheblicher allgemeiner Betreuungsbedarf nach § 45b SGB XI
anerkannt wurde, Anspruch auf Pflegegeld (§ 123 SGB XI). Es beträgt monatlich
120 Euro. Alternativ können auch Sachleistungen beansprucht werden. Sie
betragen maximal 225 Euro monatlich. Zudem gibt es auch die volle Leistung für
Verhinderungspflege (1.550 Euro im Jahr) und Zuschüsse für genehmigte
Wohnungsanpassungen (bis zu 2.557 Euro pro Maßnahme) und technische
Pflegehilfsmittel wie einen Lifter oder ein Pflegebett.
Auch in Pflegestufe I und II
erhalten Menschen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz (z.B.
Demenzkranke) dann mehr Pflegegeld und Sachleistungen. Diese Erhöhung erhalten
Pflegebedürftige nur, wenn eine eingeschränkte Alltagskompetenz anerkannt wurde
(erheblicher Betreuungsaufwand). Bei demenzkranken Menschen wird ein
erheblicher Betreuungsbedarf außer in sehr frühen Krankheitsstadien immer
anerkannt werden. Bei Pflegestufe III und bei Aufenthalt im Pflegeheim erhöhen
sich die Leistungen der Pflegeversicherung nicht.
Vergleich der Leistungsbeträge für
Demenzkranke vor und nach der Reform:
Leistungserhöhungen ab 2013 sind
unterstrichen. Die Beträge sind in Euro angegeben.
|
Keine Pflegestufe/ jedoch
Anerkennung eingeschränkte Alltagskompetenz |
Pflegestufe
I |
Pflegestufe
II |
Pflegestufe
III |
||||
bisher |
ab 2013 |
bisher |
ab 2013 |
bisher |
ab 2013 |
bisher |
ab 2013 |
|
Betreuungs-leistungen |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
100/200 |
Pflegegeld |
-- |
120 |
235 |
305 |
440 |
525 |
700 |
700 |
Sachleistung |
-- |
225 |
450 |
665 |
1.100 |
1.250 |
1.550 |
1.550 |
Verhinderungs-pflegeleistung |
-- |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
Kurzzeit-pflegeleistung |
-- |
-- |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
1.550 |
Wohnanpassung/ Hilfsmittel |
-- |
2.557 |
2.557 |
2.557 |
2.557 |
2.557 |
2.557 |
2.557 |
Weiterzahlung von 50% Pflegegeld bis
zu jeweils vier Wochen lang während Kurzzeit- und Verhinderungspflegezeiten: Bisher wurde nur bei einer
Krankenhausbehandlung oder eine Rehabilitationsmaßnahme Pflegegeld bis zu einer
Dauer von 28 Tagen weitergezahlt (§ 34 Abs. 2 SGB XI). Jetzt wird 50% des
Pflegegeldes bis zu einer Dauer von 28 Tagen weitergezahlt, wenn sich der
Pflegebedürftige in Kurzzeitpflege befindet oder Verhinderungspflege geleistet
wird (§ 37 Abs. 2 SGB XI).
Kurzzeitpflege kann künftig auch in
Reha-Kliniken angeboten werden, die pflegende Angehörige zu einer Reha
aufnehmen: Das Ende
Dezember 2012 noch im Bundesrat beschlossene Assistenzpflegegesetz zielt auf
die Verbesserung der Situation pflegebedürftiger behinderter Menschen ab, die
auf eine kontinuierliche Pflege durch von ihnen im Arbeitgebermodell
(trägerübergreifendes persönliches Budget) beschäftigte besondere Pflegekräfte
angewiesen sind. Der Anspruch auf Assistenzpflege wird zum 01.01.2013 auch auf
die stationäre Behandlung in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen
ausgeweitet. Die Assistenz kann sich danach gemeinsam mit dem pflegebedürftigen
Menschen mit Behinderung in eine stationäre Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtung aufnehmen lassen § 42 Abs. 4 SGB XI). Bisher war das
nur bei stationärer Aufnahme in ein Krankenhaus möglich (seit 30.07.2009).
Neben dem Anspruch auf Mitaufnahme der Assistenzpflegeperson in die Einrichtung
erhalten sie danach für die gesamte Dauer der stationären Behandlung weiterhin
das Pflegegeld sowie die Hilfe zur Pflege durch die Sozialhilfe. Damit wird der
besonderen Situation behinderter pflegebedürftiger Menschen Rechnung getragen,
die neben der medizinpflegerischen Versorgung weitere Hilfestellungen durch
ihre Assistenzpflege benötigen (§ 34 Abs. 2 SGB XI).
Wegfall des selbst zu tragenden
Kostenanteils bei Wohnumfeld verbessernden Maßnahmen: Bisher wurde ein einkommensabhängiger Eigenanteil bei
der Kostenübernahme erwartet. Dies ist nun nicht mehr notwendig. Der Zuschuss
ist jedoch auf 2.557 € je Maßnahme begrenzt § 40 Abs. 4 SGB XI).
Anreize und Förderung des Aufbaus
selbstorganisierter, ambulant betreuter Wohngemeinschaften. Pflegebedürftige in selbstorganisierten
Wohngemeinschaften erhalten bei Pflegestufe I - III jeweils 200 Euro monatlich
zusätzlich, wenn mindestens drei Pflegebedürftige dort gemeinschaftlich wohnen
und versorgt werden. Eine Pflegekraft muss dort tätig sein, und es muss eine
freie Wahl der pflegerischen Versorgung (Wahl des Pflegedienstes) möglich sein.
Zudem werden bis Ende 2015 beim gemeinschaftlichen Aufbau einer ambulant
betreuten Wohngemeinschaft pro Pflegebedürftigem 2.500 Euro Starthilfe gewährt
(max. 10.000 Euro pro Wohngemeinschaft § 45e SGB XI). Ohne finanzielle
Absicherung und Unterstützung durch einen größeren Verein oder eine Institution
mit Erfahrung in dem Bereich ist die Gründung einer selbstorganisierten
Wohngemeinschaft allerdings auch mit diesen Förderungen mit vielen Risiken und
einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden.
Die Pflegekassen müssen innerhalb
von zwei Wochen nach dem ersten Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung
einen Beratungstermin anbieten. Auf Wunsch des Antragstellers findet die
Beratung zu Hause beim Antragsteller statt: Die Beratung (Pflegeberatung) informiert über die Leistungen der
Pflegeversicherung und andere Sozialleistungen sowie über das regionale
Hilfeangebot für Pflegebedürftige (Pflegedienste, Beratungsstellen,
Betreuungshilfen, Pflegeheime, medizinische Hilfen usw.). Für den Einzelfall
sollen zudem spezielle Empfehlungen ausgearbeitet werden. Außerdem sollen die
Pflegeberater auf die Genehmigung geeigneter Maßnahmen hinwirken. Falls die
Pflegekasse innerhalb von zwei Wochen keinen Termin anbieten kann, erhält der
Antragsteller einen Beratungsgutschein für eine von den Kassen anerkannte
Beratungsstelle, bei der eine Beratung innerhalb von zwei Wochen möglich ist.
Auf Wunsch des Versicherten kann der Termin aber auch nach der Zweiwochenfrist
stattfinden (§ 7b SGB XI).
Auf Wunsch des Antragstellers muss
jederzeit das ausführliche schriftliche Gutachten zur Pflegeeinstufung
zugesandt werden (§ 18 Abs. 3 SGB XI).
Die Pflegekassen können auch
unabhängige Gutachter zur Feststellung der Pflegestufe beauftragen: Diese sind dann keine Mitarbeiter des Medizinischen
Dienstes. Werden unabhängige Gutachter beauftragt, haben Pflegebedürftige ein
Wahlrecht zwischen drei Gutachtern, die von der Pflegekasse vorgeschlagen
werden müssen (§§ 18 Abs. 3a, 53b SGB XI).
Empfehlungen zur Rehabilitation für
Pflegebedürftige müssen bei der Begutachtung zur Pflegestufe mit erstellt
werden: Diese
Empfehlungen sind zwingend zusammen mit dem Pflegegutachten zu erstellen.
Reha-Leistungen und Reha-Angebote können auch von pflegenden Angehörigen
beansprucht werden. Auch hierzu können Empfehlungen gegeben werden (§ 18a SGB
XI).
Pflege und Betreuung durch
Pflegedienste soll künftig auf Wunsch des Pflegebedürftigen entweder über die
zeitliche Dauer des Einsatzes abgerechnet werden können oder wie bisher über
Leistungsmodule. Bisher war
keine Abrechnung nach der Zeit des pflegerischen Einsatzes möglich. Es konnten
lediglich Leistungsmodule mit einem festen Preis in Anspruch genommen werden.
So kostet beispielsweise eine Ganzkörperwäsche oder ein Vollbad in
Baden-Württemberg bei einer Fachkraft rund 23 Euro und bei einer Hilfskraft
rund 15 Euro. Der Preis ist immer gleich, egal wie viel Zeit die Pflegekraft
dafür aufwendet. Eine Abrechnung nach dem tatsächlichen Zeitbedarf kann im
Einzelfall Vor- und Nachteile haben. Kunden von Pflegediensten müssen sich ab
2013 grundsätzlich für eine der beiden Abrechnungsweisen beim Pflegedienst
entscheiden (§ 89 Abs. 3 SGB XI).
Erleichterter
Zugang zur rentenversicherungsrechtlichen Absicherung: Eine rentenversicherungsrechtliche Absicherung
erfordert einen Mindestpflegeaufwand von 14 Stunden pro Woche (§ 19 SGB XI).
Zum Ausgleich von Härtefällen muss dieser Pflegeaufwand zukünftig nicht allein
für einen Pflegebedürftigen getätigt werden, sondern kann auch durch die Pflege
von zwei oder mehr Pflegebedürftigen erreicht werden (§ 44 Abs. 6 SGB XI).
Staatliche
Förderung der privaten Pflegevorsorge: Private Pflege-Zusatzversicherungen, die bestimmte gesetzliche Vorgaben
erfüllen, werden künftig mit einer staatlichen Zulage in Höhe von 5 Euro im
Monat (60 Euro im Jahr) gefördert. Die Zulage wird erstmalig Anfang 2014
rückwirkend für das Jahr 2013 durch die Versicherungsunternehmen beantragt.
Zulageberechtigt sind alle Personen, die in der sozialen Pflegeversicherung
oder in der privaten Pflege-Pflichtversicherung versichert sind, das 18.
Lebensjahr vollendet haben und noch keine Leistungen aus der Pflegeversicherung
bezogen haben. Pro Person kann für einen Vertrag die staatliche Zulage
beantragt werden. Der Tarif muss bestimmte gesetzliche Vorgaben erfüllen wie u.
a. Kontrahierungszwang und den Verzicht auf Gesundheitsprüfungen,
Leistungsausschlüsse und Risikozuschläge (§§ 126 ff. SGB XI).
©Rechtsanwältin Franziska Benthien
Fachanwältin für Sozialrecht
www.ra-benthien.de