Barrierefreie
Mobilität und Reisen
Wie verhält es sich mit der Zahlung von Pflegegeld,
Pflegesachleistungen, Verhinderungspflege und der Kostenübernahme für
Hilfsmittel während einer Reise ins Ausland oder auch einem längeren
Auslandsaufenthalt?
Grundsätzlich ruht der Anspruch auf Leistungen der
Pflegeversicherung, solange sich Versicherte im Ausland aufhalten (§ 34 Abs. 1
Nr. 1 und Abs. 1a SGB XI). Das Pflegegeld oder das anteilige Pflegegeld kann
jedoch bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Wochen im
Kalenderjahr oder bei einem dauerhaften Aufenthalt in einem EU-/EWR-Staat bzw.
in der Schweiz weiter gezahlt werden.
Zu den EU-Staaten zählen Belgien, Bulgarien, Dänemark,
Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Vereinigtes Königreich
(Großbritannien), Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg,
Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei,
Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Zu den EWR-Staaten zählen
Island, Liechtenstein und Norwegen.
Pflegesachleistungen können im Ausland in Anspruch
genommen werden, wenn die Pflegekraft, die ansonsten die Pflegesachleistungen
erbringt, den Pflegebedürftigen begleitet. Die begleitende Pflegekraft muss in
einem Vertragsverhältnis mit der Pflegekasse stehen oder bei einem zugelassenen
Pflegedienst angestellt sein (§§ 72 und 77 SGB XI).
Deutsche Pflegeversicherte haben im europäischen Ausland zwar Anspruch auf Pflegegeld, doch die wesentlich teureren Sachleistungen für die Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst sowie die Anmietung von Hilfsmitteln in anderen EU-Staaten müssen sie selbst zahlen. Das entschied der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil vom 12. Juli 2012 (Az: C-562/10).
Praxis-Beispiel für einen nicht nur vorübergehenden
Auslandsaufenthalt:
Ein Pflegebedürftiger (Pflegestufe II) ist aufgrund
des Rentenbezugs in Deutschland kranken- und pflegeversichert. Er verbringt
jeweils den deutschen Winter (1.11. – 31.3. des Folgejahres) in der Türkei. Das
Pflegegeld wird vom 1.11. – 12.12. sowie vom 1.1. – 11.2. weitergezahlt. Die
restlichen Zeiten ruhen die Pflegeleistungen.
Praxis-Beispiel für einen dauerhaften Auslandsaufenthalt
in der EU:
Eine Pflegebedürftige (Pflegestufe I) ist bei einer
Pflegekasse in Deutschland versichert und wohnt in den Niederlanden. Sie erhält
von der niederländischen Krankenversicherung Sachleistungen. Das Pflegegeld in
Höhe von aktuell 244 EUR wird um die in Anspruch genommene Sachleistung
gemindert.
In diesen Fällen wird das Pflegegeld für diesen
Zeitraum weitergezahlt. Bei Begleitung durch eine Pflegekraft, die in einem
Vertragsverhältnis mit der Pflegekasse steht, kann auch die Pflegesachleistung
(einschl. Kombinationsleistung) beansprucht werden. Bei einer mitreisenden
Ersatzpflegekraft gilt dies auch für die Verhinderungspflege. Bei
(gewöhnlichem) Aufenthalt/Wohnort in einem Mitgliedsstaat der EU, einem
Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder in der Schweiz
besteht Anspruch auf Pflegegeld auch über sechs Wochen hinaus, eine
Versicherung in der deutschen Pflegeversicherung vorausgesetzt.
Pflegesachleistungen sind möglich, wenn sie nach dem Recht des
Aufenthaltsstaates vorgesehen sind (ggf. Anrechnung auf das Pflegegeld).
Verhinderungspflege
Verhinderungspflege ist auch möglich im Ausland zu beziehen
Verhinderungspflege
nach § 39 SGB XI ist nur bei Verhinderung der „häuslichen Pflege“ möglich. Verhinderungspflege kann sowohl im
Haushalt selbst, wo die "häusliche Pflege" sonst stattfindet oder in
einem Ferienheim oder einer Behinderteneinrichtung erfolgen. Nach § 39 SGB XI
haben die Pflegebedürftigen grundsätzlich die freie Wahl zwischen geeigneten
Pflegepersonen und Pflegeeinrichtungen einerseits und den in Betracht kommenden
Orten der Verhinderungspflege andererseits.
Nach
dem Urteil des LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 11.05.2007 (Az: L 4 P 2828/06) kam es im
Wesentlichen darauf an, dass die Versicherte bis zum Beginn der
Verhinderungspflege einen Anspruch auf Pflegegeld hatte. Das Pflegegeld nach §
37 SGB XI setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die
erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter
Weise selbst sicherstellen kann. Hatte die Versicherte demnach grundsätzlich
auch während ihres Auslandsaufenthaltes einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 37
SGB XI, so ergibt sich daraus, dass auch ein Anspruch auf Kostenübernahme bei Verhinderung
der häuslichen Pflegeperson nach § 39 SGB XI (Verhinderungspflege) bestünde.
Die Leistungen bei Verhinderungspflege setzten nämlich gerade voraus, dass
nicht etwa die häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht werde, sondern
dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und
hauswirtschaftliche Versorgung selbst in eigener Weise sicherstelle. Die
Verhinderungspflege stellte sich deshalb als Ersatz (Surrogat) für das Pflegegeld
nach § 37 SGB XI dar. Wenn danach im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 SGB XI
Ansprüche auf Pflegegeld während eines Auslandaufenthalts nicht ruhen würden,
so könnten deshalb auch Ansprüche auf Verhinderungspflege bei einem
Auslandsaufenthalt nicht ruhen.
Hilfsmittel während einer Reise
Die Hilfsmittelversorgung im Ausland erfordert
die vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse. Für die spätere
Kostenerstattung der Hilfsmittel ist eine (in- oder ausländische) ärztliche
Verordnung nicht zwingend erforderlich, aber ratsam. Auch der genehmigte
Kostenvoranschlag ist von wesentlicher Bedeutung (§ 13 Abs. 4 SGB V). Für die Ermittlung
des Kostenerstattungsbetrages der Krankenkassen haben die Spitzenverbände der
Krankenkassen für die Praxis folgende Empfehlung gegeben:
Der Erstattungsbetrag ist auf der
Grundlage der deutschen Vertragssätze bzw. Festbeträge und ggf. unter Abzug der
gesetzlichen Zuzahlung sowie des Eigenanteils festzusetzen. Ist der
Rechnungsbetrag niedriger als die deutschen Vertragssätze bzw. Festbeträge ist
die Zuzahlung vom Rechnungsbetrag ausgehend zu ermitteln. Der satzungsgemäße
Verwaltungskostenabschlag, welcher bei jeder Krankenkasse anders sein kann, ist
auf der Basis des „Erstattungsbetrages vor Abschlag“ zu ermitteln. Zur
Verdeutlichung werden hier drei Beispiele vorgestellt, wobei ein satzungsgemäßer
Verwaltungskostenabschlag von 6 % zugrunde gelegt wird:
Beispiel 1:
Rechnungsbetrag 275,00 €
Festbetrag
(gesetzlich, § 36 SGB V) 225,00 €
./.
gesetzliche Zuzahlung (§ 61 SGB V) 10,00
€
=
Erstattungsbetrag vor Abschlag 215,00 €
./.
Verwaltungskostenabschlag (fiktiv 6 %) 12,90 €
=
Erstattungsbetrag 202,10 €
Beispiel 2:
Rechnungsbetrag 275,00 €
Vertragspreis
(gesetzlich, §127 SGB V) 215,00
€
./.
gesetzliche Zuzahlung (§ 61 SGB V) 10,00
€
=
Erstattungsbetrag vor Abschlag 205,00 €
./.
Verwaltungskostenabschlag (fiktiv 6 %) 12,30 €
=
Erstattungsbetrag 192,70 €
Beispiel 3:
Rechnungsbetrag 215,00 €
Festbetrag/Vertragspreis 275,00 €
./.
gesetzliche Zuzahlung (§ 61 SGB V) 10,00
€
=
Erstattungsbetrag vor Abschlag 205,00 €
./.
Verwaltungskostenabschlag (fiktiv 6 %) 12,30 €
=
Erstattungsbetrag 192,70 €
Die Genehmigung eines Hilfsmittels erfolgt, wenn nach § 33 SGB V ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Hierzu gehören nach der gängigen Rechtsprechung des BSG eine gesunde Lebensführung, allgemeine Verrichtungen des täglichen Lebens, geistige Betätigung und Erweiterung des durch die Behinderung eingeschränkten Freiraumes. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens kann der Jahresurlaub gehören, der an einem anderen Ort verbracht wird (vgl. BSG Urteil vom 26.06.1990 - 3 RK 26/88).
Die Kostenübernahme des Hilfsmittels/Pflegehilfsmittels kann entweder bei der Krankenkasse oder der Pflegekasse beantragt werden. Zu beachten ist allerdings, dass dies zwingend vor Beginn der Reise erfolgen muss, damit der Leistungsträger prüfen kann und einer eventuellen erst späteren Kostenerstattung nach § 13 Ab. 5 SGB V.
©Rechtsanwältin Franziska Benthien
Fachanwältin für Sozialrecht
www.ra-benthien.de