Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung
Die "Eingliederungshilfe für Menschen mit einer Behinderung" umfasst verschiedene Leistungen des Sozialamts, die in etwa vergleichbar sind mit den Rehamaßnahmen der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung.
Im Rahmen der Eingliederungshilfe besteht der Nachranggrundsatz. Die Leistungen werden erst dann gezahlt, wenn kein anderer Leistungsträger vorher gezahlt hat. Einen Anspruch auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung haben Personen, die nicht nur vorübergehend (d.h. länger als 6 Monate) eine Beeinträchtigung haben. Diese können in Form einer körperliche Beeinträchtigung (z.B. erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit; Blinde; Hörbehinderte und Taubstumme; Sprachbehinderte), in Form einer geistigen Beeinträchtigung (wodurch die Eingliederung in die Gesellschaft erheblich beeinträchtigt wird), in Form einer wesentlichen seelischen Beeinträchtigung (z.B. körperlich nicht begründbare Psychosen; seelische Störungen als Folge von Krankheiten; Suchtkrankheiten, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen) oder in Form einer Bedrohung von einer Behinderung (nach allgemeiner ärztlicher und sonstiger fachlicher Erkenntnis) vorhanden sein. Die genannten Personenkreise haben einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe.
Die Eingliederungsmaßnahme muss so lange gewährt werden, bis die Ziele der Eingliederungshilfe erfüllt sind bzw. die Aussicht besteht, dass die Ziele erfüllt werden können. Hier sind die Stellungnahmen der Ärzte, Einrichtungen und sonstigen sachverständigen Personen, die auch am Gesamtplan beteiligt sind, wichtig. Die Aufgaben der Eingliederungshilfe sind die Verhütung einer drohenden Behinderung (Prävention), die Beseitigung oder Milderung einer vorhandenen Behinderung oder deren Folgen (Rehabilitation) oder die Eingliederung des Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft (Integration).
Folgende Maßnahmen der Eingliederungshilfe (§ 54 SGB XII) werden geleistet:
Medizinische Rehabilitation § 54 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX. Diese umfasst Maßnahmen die auf die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustands ausgerichtet sind und vorwiegend die Durchführung medizinischer Leistungen erfordern. Medizinische Reha wird ambulant oder stationär erbracht, ambulant hat Vorrang. Zwischen zwei Maßnahmen müssen in der Regel vier Jahre Wartezeit liegen.
Teilhabe am Arbeitsleben § 54 SGB XII i.V.m. § 33 SGB IX. Dies umfasst alle Rehamaßnahmen, welche die Arbeits- und Berufstätigkeit von kranken und/oder Menschen mit einer Behinderung fördern. Teilhabe am Arbeitsleben umfasst Hilfen, um einen Arbeitsplatz erstmalig oder weiterhin zu erhalten, Vorbereitungs-, Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Zuschüsse an Arbeitgeber sowie die Übernahme vieler Kosten, die mit diesen Maßnahmen in Zusammenhang stehen, z.B. für Lehrgänge, Lernmittel, Arbeitskleidung, Prüfungen, Unterkunft und Verpflegung. Die Leistungen werden von verschiedenen Trägern übernommen, meist aber von der Agentur für Arbeit, vom Rentenversicherungsträger oder der Berufsgenossenschaft.
Hilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte (WfbM) § 54 SGB XII i.V.m. § 41 SGB IX, § 56 SGB XII. Für Menschen mit einer Behinderung kommt wegen der Art oder Schwere der Behinderung oft keine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht. Der Menschen mit Behinderung erbringt in einer WfbM nach Teilnahme im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung und es ist keine Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten.
Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX). Die Rehabilitation (Reha) ist ein sehr großer und komplexer Bereich, für den alle Versicherungsträger zuständig sein können und die verschiedenen Zielen dient: Wiederherstellung der Gesundheit, (Wieder-) Eingliederung ins Arbeitsleben, Verhinderung der Verschlechterung des Gesundheitszustands. Die bekanntesten Leistungen sind medizinische Rehamaßnahmen, Umschulungen, Reha-Sport, Nachsorge nach Krebsbehandlungen und Kinderheilbehandlungen. Im Gesundheitswesen ist mit dem Begriff "Rehabilitation" oft nur die "Medizinische Rehabilitation" gemeint. "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" ist der Titel des SGB IX. Darin werden zwei große Themenkomplexe behandelt: die Rehabilitation und die Behinderung. Ziel aller Leistungen ist, dass Menschen mit einer Behinderung ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen können. Hier gilt der Grundsatz Reha(bilitation) geht vor Rente (§ 9 SGB VI).D.h. es wird möglichst versucht, mit Rehamaßnahmen den Renteneintritt zu verhindern oder zu verzögern.
Schule, Ausbildung und Arbeitsplatz § 54 SGB XII i.V.m. §§ 12, 13 EinglHVO (Eingliederungshilfeverordnung). Hierzu zählen Hilfen zu einer Schulbildung, zu einer schulischen und beruflichen Ausbildung und zur Erlangung eines Platzes im Arbeitsleben, worunter auch die Beschäftigung in einer WfbM fallen kann. Darunter sind z.B. die heil- oder sozialpädagogische Betreuung in einer Tagesstätte oder in einem Heim einschließlich der notwendigen Fahrtkosten dorthin wie auch die Kosten für Nachhilfeunterricht zu verstehen.
Vollstationäre Hilfe in einer Einrichtung der Behindertenhilfe § 55 SGB XII. Wird die Eingliederungshilfe in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe im Sinne von § 43a SGB XI erbracht, schließt diese Hilfe auch Pflegeleistungen ein, d.h. auch die notwendige Pflege wird erbracht. Der vorrangige Zweck der Behinderteneinrichtung ist auf die berufliche und soziale Eingliederung, die schulische Ausbildung oder Erziehung von Menschen mit Behinderung gerichtet. Im Vordergrund der Einrichtung steht somit die Förderung des Menschen mit Behinderung Menschen. Ist die Betreuung und Pflege des Menschen mit Behinderung in der Behinderteneinrichtung nicht mehr sichergestellt, kann - auf Initiative des Trägers der Behinderteneinrichtung - ein Wechsel in eine Pflegeeinrichtung (mit dem vorrangigen Zweck der Pflege) erfolgen. Dabei sind die Wünsche des Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen.
Für alle Leistungen der Eingliederungshilfe sind die Einkommensgrenzen der §§ 85 ff. SGB XII zu beachten. Leistungen der Sozialhilfe werden immer in Abhängigkeit von Einkommen und Vermögen gewährt. Es ist also immer zu klären, welche Einkommens- oder Vermögensanteile bei einer Bestimmung von Sozialhilfeleistungen angerechnet werden und welche nicht. Dabei wird auch geprüft, ob den Eltern, dem Partner oder den Kindern des Hilfesuchenden die Aufbringung der Mittel aus deren Einkommen oder Vermögen zuzumuten ist. Etwaige Unterhaltspflichten gegenüber dem Menschen mit Behinderung sind zu berücksichtigen. Eltern leisten für alle Maßnahmen der Eingliederungshilfe ihrer volljährigen behinderten oder pflegebedürftigen Kinder einen pauschalen Unterhaltsbeitrag von zur Zeit maximal 31,07 € monatlich, ohne weitere Überprüfung des Einkommens und Vermögens (§ 94 SGB XII).
Menschen, die einen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, können Leistungen auch als Persönliches Budget beantragen. Dies bedeutet, dass sie einen Geldbetrag oder Gutschein bekommen, mit dem sie die notwendigen Leistungen selbst organisieren und bezahlen (§ 57 SGB XII i.V.m. § 17 SGB IX). Das Persönliches Budget bedeutet, dass ein Mensch mit Behinderung nicht Reha- und Eingliederungsleistungen vom Sozialversicherungsträger bekommt, sondern stattdessen Geld oder Gutscheine und sich damit seine Leistungen selbst einkauft. Auf das Persönliche Budget besteht seit 01.01.2008 ein Rechtsanspruch, wird aber ebenfalls nur auf Antrag geleistet. Es kann auch als "Trägerübergreifendes Persönliches Budget" beantragt werden. Ansprechpartner für den Menschen mit Behinderung ist dann immer nur ein Kostenträger; der Kostenträger organisiert die Koordination und Abrechnung mit den anderen Kostenträgern.
Hierzu möchte ich von zwei BSK-Mitgliedern berichten, welche ich bei der Durch- und Umsetzung ihres beantragten Persönlichen Budgets unterstütze:
Im ersten Fall wurde bei dem zuständigen Sozialamt (hier Stadt Hannover) ein Persönliches Budget für eine 24-Stunden Assistenz beantragt. Die Leistungen waren für den Einsatz von privaten Pflegekräften in häuslicher Versorgung beantragt. Bewilligt wurde dem BSK-Mitglied nur eine Assistenz von 13 Stunden täglich. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde dem BSK-Mitglied eine 20-Stunden Assistenz bewilligt. Dies erforderte allerdings eine zeit genaue Auflistung der erforderlichen Hilfen, welche mit diesseitiger Unterstützung gegenüber der Stadt Hannover vorgetragen wurde. Leider hat bisher die für die sachgerechte Bemessung und Ausgestaltung des Budgets, notwendige Budgetkonferenz noch nicht stattgefunden. Erhöhte Abschlagszahlungen werden allerdings von Seiten der Stadt Hannover gezahlt. Sobald das Verfahren abgeschlossen sein sollte und eine Zielvereinbarung unterzeichnet ist, wird nochmals in einer der nächsten Ausgaben berichtet werden.
Der weitere Fall eines BSK-Mitgliedes beinhaltet ein Trägerübergreifendes Persönliches Budget für die Bereiche häusliche Versorgung, Freizeitgestaltung (z.B. täglicher Sport, Büchereibesuche), Kommunikation und Information (Engagement und Teilhabe an politischen Veranstaltungen), Erschließung und Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, Mobilität (Begleitung und Unterstützung bei Stadtfahrten z.B. Kaffee Trinken, Theater oder Kinobesuche), Förderung und Vermittlung von sozialen Kontakten (Begleitung und Unterstützung z.B. bei Besuchen von Freunden, gemeinsames Lernen), sonstige Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (z.B. Begleitung zu Gottesdiensten, Wochenendfreizeiten und Veranstaltungen oder Besuch der Pflegemutter) und die Teilhabe am Arbeitsleben (Selbständigkeit mit einer Onlineschule). Laut einem ärztlichen Attest ist für das BSK-Mitglied mindestens eine tägliche acht Stunden Assistenz notwendig. Dieser Antrag wurde abgelehnt und das BSK-Mitglied wurde darauf verwiesen, die einzelnen Leistungen bei den jeweils zuständigen Trägern zu beantragen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde diesseits darauf hingewiesen, dass das BSK-Mitglied einen Antrag auf „Trägerübergreifendes Persönliches Budget“ gestellt hat und die Stadt Hannover (zuständiger Träger) als „Beauftragter“ im gesamten Verfahren der Bewilligung und der Ausführung des Persönlichen Budgets zum zentralen Gegenüber des Antragstellers wird. Die Region Hannover hat die Stadt Hannover jetzt entsprechend angewiesen eine Budgetkonferenz zur Feststellung des konkreten Hilfebedarfs einzuberufen. Für die Begleitung beim Sport wäre die GKV zuständig, die Freizeitgestaltung zu Kirchenbesuchen etc. ist Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und somit eine Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX. Die Assistenz im Rahmen der Selbstständigkeit mit einer Onlineschule wäre Arbeitsassistenz und damit vom Integrationsamt zu leisten. Eine Budgetkonferenz ist auch in diesem Fall bisher noch nicht einberufen worden. Sobald auch hier das Verfahren abgeschlossen sein sollte und eine Zielvereinbarung unterzeichnet ist, wird nochmals in einer der nächsten Ausgaben berichtet werden.
Die beiden Fälle zeigen, dass leider bei den Behörden ein Trägerübergreifendes Persönliches Budget nicht ausreichend bekannt ist und es Sinn macht, sich gegen einen Ablehnungsbescheid mit einem Widerspruchsverfahren zu wehren. Gerade im Fall der Eingliederungshilfe, wenn mehrere Träger zuständig sind, bietet sich die Beantragung von Leistungen in Form eines Trägerübergreifenden Persönlichen Budget an, da der erst angegangene Träger als „Beauftragter“ im gesamten Verfahren für die Leistungen zuständig wird und die Koordination der Leistungen übernehmen muss.
Rechtsanwältin Franziska Benthien