Der Begriff „Behindertentestament“ wird für Testamente verwendet, bei denen einer oder mehrere der gesetzlichen Erben eine Behinderung haben.
Meistens ist die Ausgangsituation folgende: Ein Mensch mit Behinderung lebt in einer Einrichtung oder im Ambulant Betreuten Wohnen und/oder arbeitet in einer WfbM und erhält in der Regel Leistungen der Eingliederungshilfe (Sozialleistungen). Hat der Mensch mit Behinderung eigenes Vermögen, so muss dieses - bis auf einen geringen Freibetrag in Höhe von 2.600,-- Euro - für die entstehenden Kosten eingesetzt werden. Folglich fließt das von den Eltern geerbte Vermögen in der Regel dem Sozialhilfeträger zu, ohne dass der Mensch mit Behinderung davon einen wirklichen Vorteil hat. Das gleiche Problem stellt sich auch bei Ehepaaren, wenn ein Ehegatte von Behinderung betroffen ist.
Die erbrechtliche Situation ohne ein Testament stellt sich so dar, dass nach dem Tod die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelte so genannte gesetzliche Erbfolge eintritt. Wird der Angehörige mit einer Behinderung enterbt, so ist das in den meisten Fällen keine Lösung. Kindern - wie auch Ehegatten - steht im Falle der Enterbung ein Pflichtteil in Geld zu, den der Sozialhilfeträger dann einfordert. Der Pflichtteil beträgt zwar nur die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, jedoch kann der Verlust trotzdem schmerzlich sein, z.B. wenn der länger lebende Elternteil das Eigenheim verkaufen muss, um den Pflichtteil für den Menschen mit Behinderung bzw. den Sozialhilfeträger aufzubringen.
Was kann man tun, um einerseits das Vermögen zu schützen und andererseits dafür zu sorgen, dass auch ein Mensch mit Behinderung von dem Erbe profitiert?
Eine Lösung sieht vor, den Erben mit der Behinderung testamentarisch mit einem Anteil am Nachlass zu beteiligen, der etwas über dem Pflichtteil liegt, damit das Erbe nicht ausgeschlagen und stattdessen der Pflichtteil gefordert wird.
Der Mensch mit Behinderung wird nur als „Vorerbe“ eingesetzt. „Nacherben“ können z.B. die anderen „gesunden“ Geschwister sein. Ein Vorerbe darf das geerbte Vermögen nicht verbrauchen, sondern er muss es für den Nacherben bewahren. Dem Vorerben stehen nur die Erträge (z.B. Zinsen) zu. Bei seinem Tod bekommt alles der Nacherbe, welcher somit der eigentliche Erbe ist. Schließlich wird noch eine so genannte Testamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker, in der Regel ein naher Angehöriger, soll die dem Erben mit einer Behinderung zustehenden Erträge verwalten und ihm jeweils soviel davon überlassen, wie ein Sozialleistungsempfänger haben darf.
Die Eheleute E. sind Rentner. Sie haben zwei erwachsene Kinder. Der ältere Sohn Max hat eine Behinderung und lebt in einer Einrichtung. Für die Heimkosten kommt der Sozialhilfeträger auf. Der jüngere Sohn, Tim, arbeitet als Bankkaufmann.
„Und wenn einem von uns etwas passiert?“ fragen sich Herr und Frau E. immer öfter, „was dann?“ Einen letzten Willen - Testament oder Erbvertrag - haben sie bisher nicht verfasst. Ihr Vermögen besteht im Wesentlichen aus dem selbst bewohnten Einfamilienhaus, das ihnen beiden zur Hälfte gehört. „Kann das Sozialamt etwa an das Haus heran?“
Schließlich entscheiden sich die Eheleute für eine anwaltliche Beratung und erfahren: Der länger lebende Ehegatte würde vom anderen die Hälfte des Vermögens erben, die beiden Söhne je 1/4. Der Erbteil des Sohnes mit einer Behinderung Max, d.h. 1/4 des Nachlasses, müsste zu Geld gemacht und für die Heimkosten verbraucht werden. Der länger lebende Ehegatte wiederum würde von den beiden Söhnen je zur Hälfte beerbt, d.h. bei diesem zweiten Erbfall würde die Hälfte des Nachlasses für die Heimkosten abfließen.
„Und wenn wir Max enterben?“ überlegt Herr E. Der Anwalt erklärt, dass dann der Sozialhilfeträger den Pflichtteil geltend machen würde. Das wären, wenn der erste Elternteil stirbt, 1/8 und beim zweiten Erbfall 1/4 des Nachlasses.
Statt dessen schlägt der Anwalt den Eheleuten ein so genanntes „Behindertentestament“ vor. Max wird als „Vorerbe“ mit einer Quote eingesetzt, die etwas über dem gesetzlichen Pflichtteil liegt. Als Nacherbe wird sein Bruder Tim eingesetzt. Damit soll verhindert werden, dass der Sozialhilfeträger das Erbe bzw. den Pflichtteil bekommt. Gleichzeitig wird die Testamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker wird als „Willensvollstrecker“ der Erblaser (Eheleute E) eingesetzt und wird das Erbe verwalten und die Erträge für Max verwenden, damit dieser beispielsweise notwendige Hilfsmittel erhält oder auch einmal an einer Urlaubsreise teilnehmen kann.
Die Eheleute E fragen sich, ob ein so genanntes „Behindertentestament“ wirklich sicher ist oder kann der Sozialhilfeträger doch irgendwie auf das Vermögen zugreifen? Absolute Rechtssicherheit hierzu gibt es leider nicht. Die Rechtsprechung könnte sich ändern. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat allerdings in den Jahren 1990 und 1993 in zwei Urteilen festgestellt, dass ein so genanntes „Behindertentestament“ mit diesem Inhalt „nicht als sittenwidrig“ zu bewerten ist. Auch das OVG Saarlouis hat im Jahre 2006 hierzu ein Urteil gefällt.
Man sollte dieses Modell allerdings nicht ungeprüft übernehmen. Eine sinnvolle Lösung muss sich immer am konkreten Einzelfall orientieren.
Rechtsanwältin
Franziska Benthien